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1. Mai 2022 | Monatsimpuls

Mit Sachspenden hin, mit Flüchtlingen zurück – 05/22

Seit dem 24. Februar führt Russland einen Krieg gegen die Ukraine. Er bringt Leid, Zerstörung und Tod. Die Bereitschaft, Menschen von dort zu unterstützen, ist groß. Viele Ehrenamtliche fahren derzeit Richtung Osten, um Sachspenden abzugeben und Flüchtlinge abzuholen. Manfred Eibach ist Pastor im Ruhestand. Er hat in den letzten 25 Jahren schon viele Lkw-Hilfstransporte gefahren. Nun hat der 69-Jährige als Busfahrer Menschen aus dem Kriegsgebiet geholt.

Eindrücke von der Fahrt an die rumänisch-moldawische Grenze  

Samstag, 05. März

Vormittags bekomme ich einen Anruf von Christoph Lantelme, Koordinator der FeG Auslandshilfe. Er berichtet, dass sie eine Anfrage mit Bitte um Unterstützung aus Moldawien erhalten haben. Das befreundete Hilfswerk „Wort und Tat“ unterhält ein diakonisch-medizinisches Zentrum in Ceadir Lunga, einer Stadt an der Grenze zur Ukraine. Immer mehr Flüchtlinge von dort kommen an, die nicht mehr alle untergebracht werden können.

Christoph fragt, ob ich eine Möglichkeit sehe, einen Bus zu organisieren, der einige Leute nach Deutschland holt. Mein Empfinden ist, das ist wichtig und jetzt dran. Meine Frau Ruth unterstützt mich dabei.

Ich rufe bei verschiedenen Busunternehmen an und bei meinem Bruder Martin, um ihn zu fragen, ob er mit mir zusammen diese Fahrt machen könne. Anschließend nehme ich Kontakt zu Gert Maichel auf. Er begleitet das Projekt in Moldawien von Deutschland aus. Vieles ist zu klären: Wo sollen die Leute abgeholt werden? Wo sollen sie hingebracht werden? Wer nimmt sie auf? Welche Reisepapiere brauchen sie? Fahren wir direkt an die Grenze oder finden wir einen anderen Treffpunkt? Wer kümmert sich um die Verpflegung der Leute unterwegs?

 

Montag, 07. März

Bis Montagabend haben sich die meisten Fragen geklärt. Pascal Ehlebracht aus Heidelberg kann ab Dienstag einen Bus zur Verfügung stellen. Die FeG Heidelberg wird die Flüchtlinge erwarten, die Auslandshilfe vermittelt Unterkünfte. Mein Bruder kann sich Urlaub nehmen und als zweiter Busfahrer dabei sein. Gert Maichel hat organisiert, dass moldawische Mitarbeiter 48 Flüchtlinge aus der Ukraine mit Kleinbussen über die rumänische Grenze bringen und die Formalitäten für die Einreise in die EU mit ihnen erledigen. Wir werden sie in Galati an einer Baptistengemeinde abholen.

 

Dienstag, 08. März

Am Dienstagmorgen starte ich mit dem Auto nach Heidelberg. Martin kommt aus München. Der Bus ist mit ca. 6 Tonnen Hilfsgütern bepackt. Marius und Anne Rüsseler, ehrenamtliche Mitarbeiter der Auslandshilfe, haben Hygieneartikel, Lebensmittel und Getränke organisiert. Außerdem haben wir Decken, Schlafsäcke, Matratzen und Bettwäsche dabei.

1.900 Kilometer liegen jetzt vor uns. Zunächst geht es Richtung Wien, dann durch Ungarn und schließlich bis in den Osten Rumäniens. Wir starten, ohne zu wissen, was genau uns erwartet. Martin und ich sind schon viele Hilfstransporte gefahren und haben auch schon viele Busreisen gemeinsam gemacht, aber das ist eine ganz neue Situation.

Unterwegs hören wir immer wieder Nachrichten, in denen das Topthema der Krieg in der Ukraine ist. Wir reden und schweigen. Und können uns beide nicht vorstellen, was es bedeutet, einen Krieg zu erleben und die Heimat verlassen zu müssen.

Wir kommen gut voran und übernachten 60 Kilometer südlich von Budapest in einem Hotel an der Autobahn.

 

Mittwoch, 09. März

Seit 8.30 Uhr sind wir wieder unterwegs. Bisher läuft alles nach Plan: kein Stau, problemloses Passieren der Grenze nach Rumänien. Am frühen Abend erreichen wir Ploesti. Hier gibt es ein herzliches Wiedersehen mit Ehepaar Georgescu, bei dem wir übernachten werden. Seit vielen Jahren kenne und schätze ich ihn Alice und Liviu. Er spricht gut Deutsch und verteilt Hilfsgüter der Auslandshilfe vor Ort. Als ich ihn am Samstag angerufen habe, war er sofort bereit, uns auch jetzt zu unterstützen. So hat er den Kontakt zu der Gemeinde in Galati hergestellt und wird uns morgen dorthin begleiten.

Donnerstag, 10. März – 5:30 Uhr
Wir brechen früh morgens auf. Bis nach Galati sind es 170 Kilometer. Mit etwa 250.000 Einwohnern ist die Stadt nahe der moldawischen Grenze eine der größten Städte im Osten Rumäniens. Wegen ihrer geographischen Randlage und der strukturschwachen angrenzenden Länder gehört die Gegend zu den ärmsten Regionen des Landes.

Gegen 8 Uhr erreichen wir den Hof der Baptistengemeinde. Etwa zehn Leute erwarten uns schon. Sie laden die Hilfsgüter aus und haben für die Ankunft der Geflüchteten ein warmes Essen vorbereitet. Auch Windeln, Decken, Kleidung und Schuhe haben sie für die Menschen aus der Ukraine bereitgelegt.

Deren Ankunft verzögert sich infolge von Problemen an der Grenze. Gegen 11.30 Uhr treffen sie ein. Alle Altersgruppen sind vertreten: Alte Frauen und Männer, Familien mit bis zu vier Kindern, ein Großvater mit seinen Enkeln, ein Säugling auf dem Arm seiner Mutter. Überwiegend sind es jedoch junge Frauen mit ihren Kindern, deren Männer zum Kriegsdienst einberufen wurden.

Ich öffne den Kofferraum, um das Gepäck zu verstauen. Für alles reicht eine von insgesamt vier Klappen des Busses. Und der Raum dahinter ist nur zu dreiviertel gefüllt. Als ich das sehe, bin ich bis ins Innerste betroffen und mir kommen die Tränen. Mir wird klar: Das ist alles, was die Leute aus ihrem bisherigen Leben retten konnten in eine ungewisse Zukunft. Keiner von ihnen weiß, ob er in sein altes Zuhause zurückkehren wird. Keiner weiß, was ihn in einer völlig fremden Welt erwarten wird. Die Frauen wissen nicht, ob sie ihre Männer, die an der Front kämpfen und ihr Land gegen einen übermächtigen Feind verteidigen, jemals wiedersehen werden.

Gleichzeitig beeindruckt mich die Hilfsbereitschaft der Christen in Galati. Mit viel Liebe packen sie an und versorgen die Flüchtlinge vor der Weiter­fahrt. Für die Kinder und Erwachsenen haben sie kleine Hygienebeutel vorbereitet. Von den aus Deutschland mitgebrachten Lebensmitteln werden die Sachen ausgesucht, die für unterwegs geeignet sind.

Etwas später als geplant machen wir uns gegen 13 Uhr auf den Rückweg. An Bord sind 48 Personen, darunter etwa die Hälfte Kinder.

 

Donnerstag, 10. März – 17 Uhr

Am späten Nachmittag erreichen wir Brasov. Die ersten 250 Kilometer sind wir gut vorangekommen. Nun liegen die Karpaten vor uns. Die Passstraße führt bis auf eine Höhe von 1.100 Metern. Es wird langsam dunkel und leichtes Schneegestöber setzt ein. Je höher wir kommen desto mehr Niederschlag bleibt liegen. Durch das Fahren der Serpentinen wird es einem kleinen Mädchen übel und sie muss sich ständig übergeben. Ihre Mutter sorgt sich sehr um sie, anscheinend hat sie auch Fieber.

Zum Glück lässt der Schneefall bei der Weiterfahrt nach, aber es bleibt die ganze Nacht kalt mit eisigen Temperaturen bis zu minus 10 Grad. Es wird ruhig im Bus, einer von uns  beiden Fahrern versucht zu schlafen.

 

Freitag, 11. März – 01.30 Uhr

Wir erreichen die Grenze nach Ungarn. Auf drei Pkw-Spuren stauen sich Autos über zwei Kilometer lang. Wir fahren auf der freien Lkw-Spur an der Schlage vorbei und hoffen, dass die Einreise problemlos gelingt. Vor uns warten noch fünf Reise- und zehn Kleinbusse. Es wird bis zum nächsten Morgen dauern, bis wir die Fahrt fortsetzen können. Das Problem: Eigentlich haben sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine unbürokratische Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine geeinigt. Das bedeutet, sie dürfen ohne Visum und ohne biometrischen Pass einreisen. Später werden diese Daten am Ankunftsort von den Ausländerbehörden erhoben. Doch eine Verordnung der ungarischen Regierung verlangt sie nun doch schon bei der Durchreise. So muss jede und jeder – vom Rentner bis zum Kleinkind – sich anstellen und bei den immer noch eisigen Minustemperaturen darauf warten, bis er einen Fingerabdruck abgeben und ein biometrisches Foto von sich machen lassen kann.

Die Beamten, die drinnen hinter den Schaltern sitzen, lassen sich ganz offensichtlich Zeit. Ich bin wütend über diese unnötige Schikane. Nach sieben Stunden können wir dann endlich nach Ungarn einreisen. Wir brauchen dringend Sprit. Wegen der Kälte haben wir den Motor fast die ganze Zeit laufen lassen, damit im Bus wenigstens Temperaturen zwischen 10 und 15 Grad sind.

 

Freitag, 8.30 Uhr

Zwei Kilometer hinter der Grenze fahren wir die erste Tankstelle an. Während Diesel in Rumänien und Österreich ähnlich teuer ist wie in Deutschland, kostet der Liter in Ungarn nur um die 1,20 Euro. Bei 500 Litern, die unser Tank fasst, eine echte Ersparnis. Schon auf der Hinfahrt haben wir hier getankt. Das ging ohne Probleme. Jetzt allerdings bekommen wir keinen Kraftstoff. Diesel ist ausverkauft. Bis zur nächsten Tankstelle sind es sieben Kilometer, doch auch hier bekommen wir nichts. Es werden nur noch kleine Mengen an Pkws abgegeben. Mir ist klar: Viel weiter können wir nicht fahren. Nach 20 Kilometern steuern wir die dritte Tankstelle an. Auch sie hat keinen Diesel mehr, jedoch sagt man uns, dass der Tankwagen unterwegs sei. Als er nach einer halben Stunde kommt, dürfen wir zwar nicht volltanken, aber bekommen 200 Liter, das reicht für ungefähr 600 Kilometer. Damit kommen wir bis nach Österreich, wo wieder ausreichend Kraftstoff zur Verfügung steht.

 

Freitag, 11. März – 19 Uhr

Kurz vor der deutschen Grenze machen wir eine letzte Pause. Da kaum jemand von unseren Mitreisenden Englisch spricht, können wir uns nur mit Gesten verständigen. Wir öffnen die Kofferräume und versorgen alle mit Proviant.

Samstag, 12. März – 00:20Uhr

Es ist so weit: Nach 36 Stunden kommen wir in Heidelberg an. In der Freien evangelischen Gemeinde werden wir von Ehrenamtlichen und einem Dolmetscher erwartet. Es gibt eine warme Mahlzeit und heiße Getränke. Einige der Geflüchteten werden von Freunden und Bekannten noch in der Nacht abgeholt. Andere werden von Freiwilligen mitgenommen, die in ihren Wohnungen eine Übernachtungsmöglichkeit anbieten. Für alle andern sind Betten oder Matratzen mit Zudecken in den Nebenräumen der Gemeinde hergerichtet. Die Weiterverteilung erfolgt am nächsten Morgen. Martin und ich finden ein Nachtquartier bei Freunden.

Die Hilfsbereitschaft ist groß. Für unsere Gäste habe ich mich gefreut, dass sie so herzlich empfangen wurden. Ich bin froh und dankbar, dass wir trotz aller Herausforderungen, die diese Reise bereithielt, die Leute sicher und wohlbehalten nach Deutschland gebracht haben.

Manfred Eibach (Mitglied im Arbeitskreis Ältere Generationen)